Das kleine Kind

Geteilte Aufmerksamkeit – das Beziehungsband zwischen Erwachsenen und Kindern

Das ist ja immer die Frage, wie man zueinander kommen kann: Erwachsener und Kind. Wie kann ein gegenseitiges Beziehungsband entstehen?

Meine Erfahrung ist, dass ich als Erwachsener zweierlei beitragen kann: Zum einen in meinem Frieden zu sein, das heißt in der Mitte, da wo mich nichts drängt und zieht. Wo ich im Jetzt anwesend bin und mich darin aufhalten kann. Zum anderen zu etwas Drittem eine freundliche Beziehung aufzunehmen. Eine Beziehung, die so ist, dass das Kind in sie einsteigen kann.

Das kann alles sein, zum Beispiel eine Schraube, die heraussteht: „Schau an!“ verwundert und ein wenig gespielt empört zeige ich auf die Schraube: „Die wollte mal frische Luft schnuppern. Ist ja ganz locker. Urlaub macht sie! Na, sowas!“ Zum Kind: „So ein armes Ding, hat seinen Arbeitsplatz in der festen, dunklen Wand.“ Dann reden wir ihr freundlich zu. Bedanken uns für ihren Dienst. Suchen zusammen einen Schraubenzieher und bringen gemeinsam die Welt wieder in Ordnung.

Überhaupt ist das Dritte immer eine gute Lösung. Sei es in der Garderobe oder sonst wo, wenn das Albern- und Übermütigwerden sich abzeichnet. Bei Tisch halte ich dann zum Beispiel mein abgebissenes Brot in die Höhe und stelle fest „ein Bär“. Die Kinder freut es, den Bären in meinem Brot zu sehen und beginnen sofort, ihre Brote hochzuhalten. „Ich habe einen Schlitten!“, ein anderer einen Schuh, ein drittes Kind ein Schiff. Sie machen weitere Bisse und schauen und zeigen sich, in welche Gestalten sich ihr Brot weiter verwandelt. Meine Aufgabe ist es, die Kinder und die Freude ruhig wahrzunehmen, die uns belebt und die fröhliche Gemeinschaft erhellt. Und die goldenen Beziehungsfäden sonnengleich in meinem Herzen zu bündeln.

Je mehr ich aus meinem Kopfdenken aussteigen kann, das ist das, worin wir Erwachsenen uns üblicher Weise den ganzen Tag aufhalten, und je mehr ich in der Wahrnehmung aufwache und in bewusste Beziehung treten kann zu den Erscheinungen um mich, desto schöner wird es mit den Kindern. Die Erscheinungen sprechen zu ihren Sinnen. Und da die Kinder ihre Kopf-Gedanken-Welt noch nicht wie wir Erwachsenen ausgebildet haben, stehen sie diesen Sinneseindrücken noch unmittelbar gegenüber. Sie sprechen zu ihnen. Und entfalten eine starke Wirkung auf sie. Wenn ich als großer Mensch nun eine freundliche Beziehung zu den sie so lebendig umgebenden Erscheinungen aufnehme, spreche ich ihre Sprache.

Es ist auch nicht unbedeutend, dass wir Großen Acht darauf geben, dass das, was sie umgibt, schön für ihre Sinne ist. Ihnen frommt. Nicht gewaltvoll, schrill und aufdringlich sich ihrer bemächtigt. Dass die Dinge so sind, dass man sich ihnen gerne nähern will und eine freundliche Beziehung zu ihnen aufnehmen kann.

Alles natürliche, Nicht-Vorgefertigte und -Vorgegebene hat diesen Charakter: Holz, Moos, Federn, Steine, Bienenwachs, Hasel- und Walnüsse, Kastanien, Tannenzapfen, Baumwolltücher, Seide, Strickbälle und -Tiere, Stoffpuppen, Körbe, Beutel, Holzständer uvm. Im Waldorfkindergarten geben wir den Kindern diese Spielmaterialien. Und so freud- und fantasievoll habe ich Kinder nie spielen sehen, als in solch einer Umgebung. Gemäß ihrer Fantasie dienen die selben Materialien der Vorbereitung zu einem großen Fest, der Reise mit dem Flugzeug, dem Bau eines Sees zum Schwimmen und Angeln, einer LKW Werkstatt, einer Hundeschule oder Mausehöhle. Eben ist der lange Klotz noch eine Geige, wird zur Trompete, um wenig später als Schlittschuh zu dienen, festgebunden mit Schneckenbändern, die zuvor noch Tigerschwänze oder Anschnallgurte waren.

Veranlasst zu diesem Text hat mich der Fuchs, der gestern beim Kochen auf meiner Zwiebel erschien. Sehen Sie ihn?

Zwiebel-Fuchs

Füchse von Franz Marc
Was für Tiere durch meine Küche huschen! Heute ein „Einhörnchen“, wie ich Kinder immer wieder sagen höre.

2 Kommentare

  1. Liebe Judith,
    Herzensdank an Dich für das Teilen deiner beiden Beiträge, so freudig mit Fuchs und Sonnenfäden aus und in meine Mitte aufnehmen setzte ich nun Fuß & Hand in den Tagesstrom.
    Viel Freude auch dir heute mit den kleinen und doch so grossen Menschen.
    Lieben Gruß Corinna

    • Liebe Corinna,

      vielen Dank für Deinen Kommentar!

      Einen schönen Tag Dir auch mit den Großen Menschen! Liebe Grüße,

      Judith

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