So wohl fühlte ich mich, geborgen, sicher und frei, als ich als Zehn- und Elfjährige mit meinem Bruder und Vater in unserem Wald spazieren ging. Wir gingen beinahe täglich. Mein Bruder im Kinderwagen. Ich an Papas freier Hand. Immer den selben Weg. Sprang hier hin und dort hin und wieder zurück. Meine Hand in seiner. Besonders schauten wir uns die Pflanzen an.

Erst kam ein dunkleres Stück Weges. Zu beiden Seiten viele hohe Fichten. Auf dem braunen nadeligen Boden sprossen aus weißen Hexeneiern Stinkmorcheln. Faszinierend und schaurig unheimlich auch. Das dunkle Stück endete bei der Clematis. Sie hatte so schöne Blüten, tat mir aber leid, wie auch die Fichte, die sie umrankte. Einerseits braucht sie einen Baum, denn sie kann nicht selbst stehen. Bedauerlich genug. Sie muss sich hinauf winden. Aber dass sie ihm das Leben nimmt, wenn sie wuchert, das ist doch ungerecht! Vielleicht ist ihr Saft deshalb giftig?

So gingen wir unseren Weg. Streckenweise begleitet vom glucksenden Gurgeln des Baches. Vor den Fisch-Weiern auf der rechten Seite, gab es eine elfenhafte Landschaft. Eine Auenwiese mit Buschwindröschen, Tümpeln, Froschlaich und Quaulquappen. Im Sommer quakten die Frösche. Gegenüber des Fisch-Weiers verlief links des Weges der Bach. Er hatte uns unterquert. Dort war das Sumpfdotterlielienufer. Dann kam die Erle mit dem roten Holz, die mit den Füßen gerne im Wasser steht. Zur rechten die Pferde-Koppel. Die umrundeten wir, indem wir über zwei wackelige Holzbrücken des Bachs gingen, der uns wieder unterquert hatte, und auf eine schmale Waldstraße kamen. Dort an unserem Wendepunkt stand eine Wassermühle auf einem großen Gelände, auf dem Menschen wohnten. Mitten im Wald! Ich fand das interessant, mitten im Wald ein Haus mit einem riesigen Gelände zu haben! Wie muss das nachts sein? Wenn’s dunkel feucht und kalt ist?

Als Dreizehnjährige habe ich es mit meiner Freundin in den Sommerferien herausfinden wollen, wenn zwar nicht nachts, so wenigstens morgens um halbfünf. Wir hatten Picknick dabei und wollten am Rand einer Waldlichtung auf dem Jägerhochsitz Rehe beobachten. Wir waren auch schon eine Strecke gegangen, als uns der Grusel überkam. Wir kehrten um und erlebten statt dessen das Erwachen des Dorfes von der erhöhten Kirchmauer aus.

Zurück an Papas Hand kam rechts ein feuchtes Gebiet mit hohen dünnen Erlen, am Boden Schachtelhalm und Farnen. Und dann, etwas sehr Interessantes auf der linken Seite. Es ging steil hinauf. In der Steigung war ein Krater. Von einer Bombe. Darin lag unter Moos und Laub Geröll. Und: Fossilien! Versteinerte Schnecken! In ockerfarbenem Kalkstein. Das war sehr besonders. Immer an der einen Stelle. Wir Kinder des Dorfes sammelten sie ein. Suchten den Boden ganz gründlich ab, bis wirklich keine mehr da war. Aber zu einem andern Zeitpunkt waren doch wieder welche da. Sehr zauberhaft. Das Geheimnis lüftete sich auf einer Mineralienbörse: „Papa, schau mal, hier ist ein Stand mit Fossilien aus unserem Wald!“ Ob ich den Krater im Wald meinen würde? „Ja, genau den!“ „Ja, weißt du, da laden meine Frau und ich immer die Steine ab, die sich für den Verkauf nicht eignen. Wir bringen sie aus unserm Urlaub mit.“ Ach was! So ist das also!

Weiter des Wegs kam rechts ein Pfaffenhut, dann die beiden Fisch-Weier. Hier war im Sommer Krötenwanderung. Viele lagen plattgefahren und ausgetrocknet auf der Straße. Der Waldweg führte das letzte Stück entlang des Bachs an den Rand einer Wohnsiedlung, wo direkt auf der Ecke meine Freundin wohnte. Das war unser Weg.

Nun habe ich Sie mitgenommen durch unseren Wald und meine Kindheitsempfindungen, hatte aber eigentlich über die beruhigende Wirkung der Tastsinnerfahrung schreiben wollen:

Ich legte meine Hand in die meines Vaters. Da ist das Leben schön. Sorgen und Nöte fielen ab. Der Atem wird ruhig. Ich bin Kind. Beschützt.

Der Tastsinn ist so geheimnisvoll und wirkungsmächtig. In meiner Arbeit spielt er eine zentrale Rolle.