Verlust des Singens

Neulich hörte ich von einer Lehrerin, dass ja die Kinder nicht mehr singen dürfen in der Schule. Natürlich, ich hatte daran nicht gedacht… und es tut mir unendlich Leid! Denn Singen gehörte zu meinem Liebsten in der Schule! Wenn die Kinder mit diesen Erfahrungen in der Schule nicht mehr ausgestattet werden können, dann muss das Singen wieder zu Hause stattfinden! Wie früher. Ich hörte es oft von meinen alten Patienten, dass sie in ihrer Kindheit zu jeder Gelegenheit gesungen hätten!!! Ist das nicht schön? Ungewohnt vielleicht. Aber wunderschön doch!? Und wie reich es die Seele macht!

Singen zurück erobern

Kinder können mit Gesang geweckt und zu Bett gebracht werden. Beim Kochen und aller Hausarbeit kann gesungen werden. Vor und nach dem Essen. Vor und nach dem Geschichten-Lesen beim Kuscheln. In der Badewanne, beim Autofahrten und Spaziergängen… immer. Jede Jahreszeit hat ihre Lieder. Singen ist ein Element, das man sich einfach hinein holen kann ins Leben: Und dann ist es da und kann wirken: Die Stimmung heben, die Inspiration fördern, das Wohlbefinden steigern, die Beziehungen stärken.

Es scheint genau die Medizin zu sein, die wir heute so dringend nötig haben: Freudvolle, innige, schöne Beziehung und künstlerische Betätigung!

Deshalb habe ich begonnen für alle, die so empfinden wie ich oder damit beginnen und ihre Kinder mit einem Liederschatz ausstatten wollen, Lieder auf diesem Blog zu teilen. Schauen Sie im Menü-Punkt „Singen“. Dort entsteht eine Sammlung mit Texten, Links zu Noten und Youtube-Aufnahmen und dem Link zum Telegram-Kanal, auf dem ich Ihnen die Lieder vorsinge.


Erfahrungsbericht über das Singen

Das Leben ist zu kurz und Singen ist zu schön, als dass ein Tag ohne vergehen dürfte! Zu mehreren, wenn möglich. Oder auch allein‘.

Ich habe bewusst zu singen mit 12 Jahren angefangen. Natürlich hat Gesang die ganze Waldorfkindheit begleitet. Aber mit 12 Jahren kam der bewusste Entschluss, Singen gut zu finden.

Ich war in eine singende Gemeinschaft gekommen. Den Vogelhof. Ein Sommerferienlager nach waldorfpädagogischen Grundsätzen auf der Schwäbischen Alp.

Mit 99 anderen Kindern saß ich abends in dem runden, weißen Zelt. Auf Bänken. Die staubigen Zehen in den von der Hitze rissig gewordenen Erdboden bohrend.

Nach einem erfüllten Kinder-Sommer-Tag war die ganze Gemeinschaft vor dem Zubettgehen (oder nach dem Frühstück) zusammen. Wir sangen vor und nach der Geschichte, die uns über drei Wochen erzählt wurde.

Zuerst sangen nur die andern. Einige hatten Liederbücher. Ich hatte keins und kannte die Lieder auch nicht. Aber sie waren schön. Und noch viel schöner war, dass dieser Gesang die einzelnen zu einer Einheit verband. Heile Gemeinschaft und schöne! Woher kennen die anderen diese Lieder alle?

Lisi war in meiner Gruppe. Wir schliefen beide oben in den zwei Hochbetten in unserem Mädchenzimmer. Dort saßen wir im Schneidersitz auf den Matratzen, während die anderen noch im Bad waren. Sie sang mir „Gaukler“ vor, ich hatte sie darum gebeten.

Voller Zufriedenheit erzählte sie, dass sie fast alle Lieder aus dem Buch „Lieder für Ferien, Fahrt und Lagerfeuer“ kenne, dass sie Singen liebe und sie mit der Familie zu Hause viel sängen! Interessant…!

Ich war mir bis dahin noch nicht sicher gewesen, wie ich mich zum Singen positionieren sollte, obwohl ich es, wie gesagt, sehr schön fand! Aber Lisi hielt ihr Licht hoch! Stand zu ihrer Freude! Und da wusste ich: Ich liebe Singen auch!

Ich lernte die Lieder schnell. Im Jahr darauf kaufte ich das Liederbuch. Es ist schön! Wie die Lieder! Und Handgeschrieben.

Mit 15 lernte ich seinen Herausgeber kennen, Dieter Hornemann. Er ist Pfarrer und leitete den Volkstanz am Nachmittag auf der internationalen Pfingsttagung für Jugendliche. Meiner ersten Jugendtagung.

Wie gut mir diese Erfahrung als 15-Jährige mit den anderen Jugendlichen tat! Wonach der Sinn stand? Natürlich nach Leichtigkeit, Begegnung und geteilter Freude.  So heilsam! Sehnsucht stillend! Wie leicht es ihm fällt Brücken zu bauen zwischen den Menschen!

Seine zusammengesammelten Lieder begleiten mich bis heute. Haben mich über manchen Groll im Krankenpflegeschüleralltag hinweg gehoben. Mich von penetranten Gedanken befreit. Sorgen und Ängste vertrieben. Singend, summend oder auch nur innerlich hörend.

Treffe ich Freunde aus dieser Zeit oder diesem Kulturkreis, dann singen wir. In Einfahrten-Echos oder unter dem freien Sternenhimmel, in U-Bahn-Gängen, Treppenhäusern und auf der Autobahn. Egal wo, eigentlich.

In der Boarding-Schlange in München zum Flug nach Kiew zur Kirchengemeinde-Gründung bin ich Herrn Hornemann wieder begegnet. Und dann gab es in Kiew Gesang: Im Gottesdienst. Er wurde leise angestimmt und ein sanfter, mehrstimmiger Chor entstand! Wir, fremden Leute, sangen zusammen. Russischer und deutscher Text verwoben sich.

Nach einem Gemeindechor-Konzert waren wir im Bus auf dem Rückweg. Er war rappel voll und ich inspiriert und getragen von der Chormusik. Ich bat Herrn Hornemann, „Freude schöner Götterfunke“ anzustimmen. Leise fing er an: Freude schöner Götterfunke… Ich und dann unsere (mir, bis auf wenige Ausnahmen, eigentlich nur vom Sehen bekannten) Gemeindemitglieder stimmten mit ein. Man konnte es im ganzen Bus hören. Beethoven war da. Und wache, freundliche Augen ukrainischer Fahrgäste trafen lächelnd mein Herz. Verbindung! Vielen Dank!

Und dann, es gab noch eine Überraschung, liefen wir beim Aussteigen am Maidan, es war bereits dunkel, die bunten Springbrunnen tanzten schon, „unseren“ russischen Jugendlichen in die Arme. Sie waren mit Gitarre und einem Hut mit dem Hinweis „Für unsere Heimreise“ unterwegs.

Freude! Sie streckten Herrn Hornemann die Gitarre hin. Er nahm sie und sie sangen zusammen eine russische Weise. Einigkeit. Frieden. Ewigkeit.

Das gibt es nur, weil es Menschen gibt, die es tun.