Wenn Kinder so anders sind als wir, sie die Lebensfreude trägt und wir sie erst wiederfinden müssen, dann muss etwas Entscheidendes passiert sein beim Wechsel von dem einen in den anderen Zustand.

Wenn wir es genau betrachten, können wir feststellen, dass es mit unserer Seele zusammenhängt, mit der Art, die Welt zu erleben und mit ihr umzugehen. Hier hat sich etwas geändert. Wir verhalten uns in unserer Seele als dem Wohn- und Arbeitsplatz unseres Denkens, Fühlens und Wollens heute anders als früher.

Damals sind wir in der sinnlichen Welt angekommen und es war das Denken noch nicht da. Es brauchte ganz bestimmte Bedingungen. Die haben wir in den ersten sieben Jahren erst entwickelt und in zwei weiteren Jahrsiebten weiter ausgebildet. Jetzt sind wir für das Denken bestens ausgerüstet, haben aber die Freude und Leichtigkeit der Kindheit verloren. Das musste so kommen. Das ist der Weg.

Mit dem Bilden von Begriffen für die Erscheinungen in der Welt, haben wir uns ein Abbild der Welt geschaffen. Es ist nicht die Welt selbst. Nur ihr Bild. Nicht echt. Ohne Leben. Die Begriffe verweisen auf die echten vom Sein kommenden Wahrnehmungen, sind aber selbst nicht aus ihrer Substanz. In der Gedankenwelt leben wir nun mit unserem Bewusstsein.

Zu Beginn haben wir beim Benennen der Welt: „Mama“, „Papa“, „Auto“, „Wau-Wau“, etwas erlebt. Der Wahrnehmungsinhalt des Begriffes war gleichzeitig noch ein Erlebnis bei seinem Ausspruch. Im Laufe der Zeit lösten sich die Begriffe vom Erleben ab. Nicht jedes Mal, wenn wir „Mama“, „Papa“, „Auto“, „Hund“ sagen, lassen wir uns gleichzeitig von dem Erlebnis ihres Wesens durchfluten. Unser Erleben der Inhalte beim Sprechen und Denken hat sich abgelöst von den Begriffen und wir gehen mehr operativ und abstrakt mit ihnen um.

Die Kinder hingegen werden von ihren Wahrnehmungen noch vollständig durchdrungen, sie erfüllen sie, erleben vollumfänglich, sie sind mit ihnen verbunden – und damit, mit dem Sein selbst. Dieses Sein spricht mit ihrer Seele, und zwar in ihr Wollen hinein, denn sie antworten mit Handlungen. Die Wahrnehmungsinhalte haben selbst auch einen Willen, so scheint es, sie dringen in die Sinne ein – und was machen die Sinne? Hier ist eine Sprache angelegt zwischen Welt und Mensch! Der Sinn spricht zum Menschen und der Mensch gibt dieser Ansprache gemäß eine Antwort: Da steht ein Teller Brei vor dem kleinen Kind, spricht zu seinen Sinnen und die Antwort ist das Tasterlebnis der Hand: Patsch.

Sie gehen mit den Kindern Spazieren, am Wegrand liegt ein Baumstamm. Dieser spricht zu den Kindern und sie antworten mit der Betätigung ihres Gleichgewichtssinns und balancieren darüber. Betreten sie den Tunnel der Bahnunterführung, spricht auch er zu ihnen und sie antworten mit Rufen und Singen. Die Antwort auf die Pfütze ist der Sprung in sie hinein, die des großen Wassers, der Wurf von Steinchen – das ist die Sprache der Kinder mit der Welt. Je nach Ansprache: Laufen, Hüpfen, Rufen, Tasten, Schwingen, Werfen.

Schauen wir die Kinder an: Ihre Antwort auf die Ansprache der Welt ist immer Bewegung. Und sie erzeugt Wärme. Die Kinder bekommen rote Backen beim Spielen. Sind wahre Jetzt-Wesen. Unsere Antwort auf die Ansprache der Welt hingegen ist das Denken. Dazu werden wir still. Verbrauchen Wärme, kommen blass aus unserem Oberstübchen und haben oft das Jetzt verpasst.

Wir können aus diesem Unterschied von den Kindern und uns etwas ablesen, was unser Anders-Sein prägt. Ein Weg von uns zu den Kindern und zur Freude geht über die Vereinigung dessen, was sich bei uns getrennt hat: Das Wahrnehmen und das Denken. Dass wir unsere Worte und Gedanken wieder an Wahrnehmungen anknüpfen. Wir an ihnen wieder etwas erleben beim Aussprechen oder Denken. Das Sein, auf das die Begriffe hinweisen, wieder mit ihnen verheiraten. Märchenerzähler können das. Ihre Worte und Sätze sind heile. Sie führen uns ins Erleben:

Und die Welt hebt an zu singen
triffst du nur das Zauberwort.
– Joseph Freiherr von Eichendorff (Wünschelrute, 1838) –

Veröffentlicht in der Zeitschrift „Erziehungskunst frühe Kindheit“ 3/2023.

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